Seit August 2019 mobilisieren die Neonazi-Parteien Die Rechte und NPD zu einer gemeinsamen Demonstration am 1. Mai 2020 nach Hamburg. Unter Beteiligung der Neonazi-Funktionäre Christian Worch und Thomas Wulff wollen sie „partei- und organisationsübergreifend in der Hansestadt Hamburg auf die Straße gehen“. Obwohl Die Rechte 2012 in Hamburg gegründet wurde, gibt es in der Stadt keinen Landesverband. In Hamburg sowie den umliegenden Bundesländern ist die NPD die etablierte Partei der extremen Rechten. Die Ankündigung eines Aufmarsch von Die Rechte in einem NPD-Bundesland irritiert zunächst, da die beiden Parteien bisher getrennt voneinander ihre Demos zum 1. Mai organisierten. Daher lohnt ein genauer Blick auf aktuelle Veränderungen und Prozesse innerhalb der Neonazi-Szene vor dem 1. Mai 2020.
NPD und Die Rechte vereint zum 1. Mai
Die Rechte wurde unter anderem vom Neonazi-Funktionär Christian Worch gegründet, der auch heute noch den Bundesvorstand stellt. In der Kleinstpartei sammelten sich ehemalige Mitglieder der 2012 mit der NPD fusionierten Deutschen Volksunion (DVU). Mitglieder des 2012 verbotenen Nationalen Widerstand Dortmund (NWDO) übernehmen ebenfalls zentrale Funktionen in der Partei, was seit Jahren den Eindruck der Nachfolgeorganisation erweckt. Die Ausrichtung der Partei und die politischen Äußerungen ihrer Mitglieder sind seit Gründung offen neonazistisch und NS-verherrlichend. Parteifunktionäre und Mitglieder treten zudem gewalttätig auf. Einige Kader von Die Rechte sitzen wegen gefährlicher Körperverletzung derzeit in Haft.
Christian Worch beim Die Rechte Aufmarsch in Kassel 20.07.2019 nach dem Mord an Walter Lübcke (Quelle: Pixelarchiv)
Thomas Wulff trat im September 2016 nach 15-jähriger Karriere innerhalb der NPD aus der Partei aus. Nach langen innerparteilichen Kämpfen gab er den Landesvorsitz in Hamburg, sowie seinen Posten im Bundesvorstand der Partei auf. Die NPD Hamburg wählte später Lennart Schwarzbach zum Landesvorsitzenden, der sich im Nachgang des letzten Bundesparteitags 2019 innerhalb der Partei äußerst unbeliebt machte. So warf er der Führungsspitze nach einem Richtungsstreit vor die NPD abschaffen zu wollen und erklärte sie zum Feindbild: „‘Unsere Gegner‘ sitzen an der Spitze der NPD“. Damit entfachte Schwarzbach einen öffentlichen Streit, zudem sich neben zahlreichen NPD-Mitgliedern auch der Bundesvorsitzende Frank Franz einmischte und sich verteidigte. Ob diese Überwerfung einen Einfluss auf die Mobilisierung zum 1. Mai hat, wird sich zeigen. Dass auch Schwarzbach als Redner in Hamburg angekündigt ist, dürfte zumindest vielen NPDlern nicht sonderlich gefallen.
Thomas Wulff als Redner beim Naziaufmarsch in Bielefeld am 9.11. 2019, dem Gedenktag an die Novemberpogrome. Nazis forderten die Freilassung der Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck (Quelle: Pixelarchiv).
Ausgehend von Hamburg sind Christian Worch ¹ ² und Thomas Wulff ¹ ² seit den 1980er Jahren bundesweit in der neonazistischen Szene aktiv und übernahmen zentrale Funktionen in verschiedenen – zum Teil verbotenen – Parteien und Organisationen. Zu Beginn der 1990er Jahre unterstützten sie mit ihren politischen und rechtlichen Wissen und Erfahrungen rechte Strukturen in anderen Bundesländern und bauten diese gezielt auf. Dadurch erlangten sie bundesweite Bekanntheit und Bedeutung in der extremen Rechten. Bis heute beteiligen sie sich an strategischen Diskussionen innerhalb der Szene und sind sowohl als Redner wie auch als erfahrene Anmelder von Versammlungen bundesweit aktiv und vernetzt. Auch trotz jahrelanger politischer Richtungsstreits und persönlicher Konflikte zwischen den beiden, organisierten sie bereits den letzten Naziaufmarsch 2012 in Hamburg gemeinsam, was ihnen vom damaligen Verfassungsschutzschef den Namen „Tandem des Bösen“ einbrachte.
Neben den beiden steht auch Thorsten Heise ¹ ² auf der Rednerliste. Heise ist als Stellvertretender NPD-Bundesvorsitzender angekündigt, zählt jedoch ebenfalls seit den 1980er Jahren zu einer bundesweiten Führungsperson und Rechtsrockproduzent mit engen Kontakten zur jüngst verbotenen Gruppierung Combat 18 und zum NSU-Unterstützer_innenumfeld. Durch die Organisation von Rechtsrock- und zuletzt auch Kampfsportevents wie dem Schild & Schwert-Festival versucht er die rechte Hooligan- und Skinheadszene zusammen zu bringen und stärker an die organisierte extreme Rechte anzubinden.
Thorsten Heise (r.) beim „Schild & Schwert“-Festival in Ostritz am 2.11.2018 (Quelle: Pixelarchiv).
Mit Heise, Wulff und Worch kommen drei erfahrene Kader zusammen, die schon immer dafür standen die Parteiarbeit als strategisches Mittel zum Zweck zu begreifen. Folglich wird versucht neben persönlichen Differenzen die oft geführten ideologischen Kämpfe innerhalb der neonazistischen Szene durch die gemeinsame Mobilisierung zum sogenannten „Arbeiterkampftag“ in den Hintergrund zu stellen.
Krise der Neonazi-Parteien
Die Zusammenarbeit der beiden Parteien zum 1. Mai ist vor allem der organisatorischen Krise des parlamentarischen Neonazismus geschuldet. Während es der AfD gelang in wenigen Jahren bundesweit in Parlamente einzuziehen und mit ihren Diskursen und Begriffen die Öffentlichkeit und andere Parteien nach rechts zu treiben, werden neonazistische Parteien wie die NPD und Die Rechte kaum noch gewählt, sofern sie überhaupt noch zu Wahlen antreten. Die jahrzehntelange Strategien der NPD sowohl auf der Straße wie in den Parlamenten rechte Positionen durch Tabubrüche und Provokationen salonfähig zu machen und sich als parlamentarischer Arm einer rechten außerparlamentarischen Bewegung darzustellen, gelang der AfD in nur wenigen Jahren, wesentlich erfolgreicher. Zwar wird dieser Erfolg von einigen Neonazis begrüßt, gleichzeitig verstehen sich viele als die „wahren Volksvertreter“ bzw. als das „Original“. So besinnen sich die Neonaziparteien erneut auf ihr Kerngeschäft: Die Verharmlosung und Verherrlichung des Nationalsozialismus. Die Rechte führte beispielsweise im Frühjahr 2019 einen Europawahlkampf mit der verurteilten Shoa-Leugnerin Ursula Haverbeck als Spitzenkandidatin. Dabei stand nicht die Wahl der Partei im Vordergrund, sondern der Versuch – unter dem Vorwand für Meinungsfreiheit einzutreten – Holocaust-Leugnung zu normalisieren und sagbar zu machen.
Die Organisationsform der Partei ist in den letzten Jahren in einem Punkt attraktiver geworden. Nachdem das erste NPD-Verbotsverfahren an zu vielen Vertrauensleuten von Geheimdiensten in Parteigremien scheiterte, wurde der zweite Versuch mit der Begründung eingestellt, die NPD agiere zwar verfassungsfeindlich, sei aber zu unbedeutend, um sie zu verbieten. Neben der staatlichen Finanzierung gilt dieser Schutz vor einem Verbot als ein weiterer Grund sich als Partei zu organisieren. NPD Hamburg und Die Rechte werden bereits seit Jahren von Personen getragen, die vormals als sogenannte Freie NationalistInnen bzw. in der Kameradschaftsszene aktiv waren und sich aus strategischen Gründen für die Partei entschieden haben.
Zwar gibt es insgesamt eine breitere Akzeptanz rechter Ideologien in der Gesellschaft, sowie vermehrt rechte Angriffe und durch die Pegida-Bewegungen auch mehr Personenpotential auf der Straße, doch gelingt es den klassischen Neonaziparteien bisher nicht diese Potentiale auch organisatorisch einzubinden und für sich zu gewinnen. Im Gegenteil – Beide verlieren massiv an Mitgliedern in den letzten Jahren. Eine partei- und organisationsübergreifende Demonstration und das Voranstellen der gemeinsamen Sache wie am 1. Mai ist nicht neu, sondern bewährte Strategie um die eigene Organisationskrise und politische Bedeutungslosigkeit zu bewältigen.
1. Mai in Hamburg?
Die Ankündigung und Durchführung einer rechten Demonstration in Hamburg schafft zwei Momente. Erstens wird damit die politische Frage gestellt, inwiefern es in Hamburg möglich ist eine neonazistische Demonstration durchzuführen. Der letzte größere Anlauf zu einem sogenannten Tag der deutschen Patrioten scheiterte 2015 an persönlichen Konflikten innerhalb der Vorbereitungsgruppe und führte zu einer Verlegung nach Bremen und Kirchweyhe, wo jeweils wenige hundert Neonazis demonstrierten. In Hamburg gingen damals über 10000 Menschen gegen die Rechten auf die Straße.
Zweitens wird aus dem Gegenprotest der Mythos der „roten Hochburg“ abgeleitet und genutzt um eine bestimmte Erwartungshaltung zu schaffen. Mögliche Teilnehmende sollen mit einem actionreichen Tag gelockt und zugleich in Kampfstimmung gebracht werden. Um mit dem zu erwartenden breiten gesellschaftlichen Widerspruch um zu gehen, rückt der wortwörtliche „Kampf um die Straße“ in den Mittelpunkt der Mobilisierung. Dazu wird an die Rezeption vergangener Erfahrungen und vor allem an den 1. Mai 2008 in Hamburg angeknüpft. So erinnert Die Rechte-Funktionär Michael Brück in der November Ausgabe der Neonazizeitschrift NS-Heute an die sogenannte „Schlacht von Hamburg-Barmbek“. Obwohl die damalige Neonazi-Demonstration nur verkürzt und unter massiven Polizeischutz durchgeführt wurde, zahlreiche Neonazis wenig Grund hatten sich an dem Tag stark zu fühlen und ihre Reisebusse sie nicht mehr nach Hause brachten, wurde diese faktische Niederlage zum heroischen Kampf gegen das „rote Hamburg“ verklärt. Die Beschwörung des Außen in Form der „roten Hochburg“ dient vor allem dazu ein gemeinsames Wir-Gefühl zu schaffen und konkret eben auch partei- und organisationsübergreifend gegen das gemeinsame Feindbild der verhassten Linken mobilisieren zu können.
Auch die Stadtteile, in denen die Nazis laufen wollen, sind nicht zufällig gewählt. Die ursprünglich vom S-Bahnhof Nettelnburg bis zum Lohbrügger Markt angemeldete Route in Bergedorf verläuft durch einen Stadtteil, der seit den 1980er Jahren immer wieder Ausgangspunkt und Rückzugsort neonazistischer Aktivitäten und Übergriffen war. Trauriger Höhepunkt war der brutale Angriff auf Ramazan Avcı am 21.12.1985 durch Neonaziskinheads der Lohbrügge-Army. Wenige Tage später erlag der 26-Jährige seinen Verletzungen im Krankenhaus.
Nachdem bekannt wurde, dass die zentrale Straße der Bergedorfer Aufmarschstrecke mit einer umfassenden Baustelle über den 1. Mai blockiert ist, verlegten die Nazis ihre Demonstration nach Harburg, ebenfalls immer wieder ein Agitationsort für extrem Rechte. Sowohl Bergedorf als auch Harburg sind Orte an denen die NPD Hamburg seit vielen Jahren versucht durch Infostände und Kundgebungen zu agitieren. Antifaschistische Recherchen weisen immer wieder darauf hin, dass bestärkt durch rechte Diskurse seit 2015 mehr Neonazis, die bereits in den 1980er und 1990er Jahren aktiv waren, wieder politisch in Erscheinung treten. Mit einer Demonstration durch die ehemaligen Hochburgen wird auch versucht an alte Zeiten anzuknüpfen und alte WeggefährtInnen zu reaktivieren.
Unterm Strich…
mobilisieren mit Die Rechte NRW und den norddeutschen NPD-Strukturen zwei aktive Neonaziparteien zu einem gemeinsam Event. Mit den Kadern Wulff, Worch und Heise wird versucht auch den radikalsten Teil der Szene anzusprechen. Dafür wird der Mythos vom „Roten Hamburg“ beschworen und versucht sowohl alte WeggefährtInnen als auch ein aktionsorientiertes und gewaltsuchendes Spektrum anzusprechen. Vor Ausbruch der Corona-Pandemie war zu erwarten, dass sich mehrere hundert Neonazis am 1. Mai auf den Weg nach Hamburg machen. Gegen mögliche Verbote oder Streckenverlegungen im Vorfeld würde der erfahrene Vorbereitungskreis rechtlich vorgehen. Für 14 Uhr wurde der Beginn am Bahnhof Harburg (Hannoversche Straße) angekündigt. Die angemeldete Route führt über die Moorstraße, Krummholzberg, Bremer Straße, Harmstraße, Baererstraße und Wilstorfer Straße. Zurück geht es wieder über die Moorstraße zum Harburger Bahnhof. Zwischenkundgebungen sollen am Seeveplatz und den Kreuzungen Wilstorfer Straße/Baererstraße sowie Wilstorfer Straße/Moorstraße stattfinden
In einem Ende März veröffentlichten Video von Die Rechte wird auch auf den 1. Mai eingegangen. Sollte aufgrund der Corona-Pandemie weiterhin Versammlungs- und Kontaktverbote in Hamburg gelten, würden die Neonazis sich daran halten. Sollte es jedoch möglich sein am 1. Mai in einem anderen Bundesland auf die Straße zu gehen, würde Die Rechte den Aufmarschort wechseln.
Die spektrenübergreifende Mobilisierung nach Hamburg ist der verzweifelte Versuch durch das Erlebnis-Versprechen die rückläufigen Zahlen bei Demonstrationen mit NS-Bezug zu überwinden. Dennoch bietet das Event auch die Möglichkeit ein überregional und nach innen bestärkendes Ereignis zu werden. Wichtig für die Neonaziparteien ist es überhaupt Veranstaltungen durchzuführen und sich als kämpfende Bewegung zu inszenieren. Die Örtlichkeit und BündnispartnerInnen sind dafür zweitrangig.